Ein Chällerkind wird erwachsen
Ein Portrait
Enthusiasmus und Plastikeimer
Dass in Ruswil auch noch nach über 40 Jahren Kleinkunst stattfinden würde, hätte sich wohl keiner der jungen kulturinteressierten Leute zu träumen gewagt, die 1980 begannen, das alte Sandsteingewölbe eines ehemaligen Eislagers für Bier an der Kantonsstrasse auszubauen und in ein veritables Kleintheater mit viel Atmosphäre zu verwandeln. Zwar wies der Theaterraum, der so in unzähligen Stunden Fronarbeit entstand, eine Luftfeuchtigkeit von beinahe tropischen Ausmassen auf, sodass nach den Aufführungen jeweils das gesamte Inventar aus dem Gewölbe entfernt und vor der alles zersetzenden Feuchtigkeit geschützt werden musste. Und die praktisch mit Händen greifbare Humidität musste während den Vorstellungen mit einer permanent rauschenden Heizlüftung bekämpft werden. Aber das tat der grossen Motivation der Gründerjahre keinen Abbruch. Selbst die vielen bunten Plastikeimer, die an der Decke zum Schutz vor fallenden Tropfen befestigt oder am Boden hingestellt werden mussten, wurden eher als originelle Zutat denn als Belastung wahrgenommen. Der Name für das Kleintheater ergab sich so praktisch automatisch und war Programm. Mit einem grossen Dorffest und einer ersten Eigenproduktion konnte der schmucke Tropfsteichäller am 2. September 1983 vom neu gegründeten Tropfsteiverein in Betrieb genommen werden.
Handglesmet und erfolgreich
Natürlich war der Tropfsteichäller ein Kind seiner Zeit: ganz im Geiste der aufmüpfigen 70er- und 80er-Jahre entstanden, wurde er im Dorf tendenziell als rot-alternatives Szenelokal empfunden. Nicht nur die Programme und Tickets präsentierten sich sympathisch handglesmet: auch das Publikum setzte sich eher aus Trägern von selbstgestrickten Pullovern aus dem ganzen Kanton Luzern als aus Besucherinnen und Besuchern im Deux-Pièce oder in Bundfaltenhosen aus Ruswil zusammen. Dennoch (oder gerade deswegen?) waren die gebotenen Programme von Anfang an hochklassig –bekannte Persönlichkeiten wie Franz Hohler, Christy Doran, Sybille und Michael Birkenmeier, Osy Zimmermann, Joachim Rittmeyer, Linard Bardill, Tinu Heiniger, Gruppen wie Acapickels, Duo Fischbach usw. begeisterten auf den schmalen Brettern der Tropfsteichäller-Bühne und liessen sich vom besonderen Charme der tropfenden Umgebung inspirieren und zu Höchstleistungen anspornen. Das Programm war klein, aber abwechslungsreich und ausgewogen. Eine besondere Herausforderung stellten jeweils die «Eigenproduktionen» - Theaterproduktionen dar, was sich schon daran zeigte, dass sich die Beteiligten einiges einfallen lassen mussten, um die Szenen auf den Brettern der Kleinstbühne zur Geltung zu bringen. Diese Produktionen wurden rasch zu einem weit herum bekannten Markenzeichen des Tropfstei.
Gesucht: ein neues Dach
Als 1996 ein baustatisches Gutachten die Sicherheit der Dachkonstruktion im Chäller in Zweifel zog, waren die Tage des Kleintheaters «Tropfsteichäller» scheinbar gezählt. Wollte man weiterhin Kleinkunst in Ruswil anbieten, musste dafür buchstäblich ein neues Dach gefunden werden.
Was anfänglich nach einem aussichtslosen Unterfangen aussah, erwies sich als eigentlicher Glücksfall: das Dachgeschoss des Feuerwehrlokals, das anhin als Kantonnement für militärische Einquartierungen gedient hatte, wurde infolge der rückgängigen Armeebelegungen weniger genutzt und verfügte daher über «Zeitlücken».
Vom Chäller in den Estrich
Mit viel Initiative wurde ein Vorschlag ausgearbeitet, der die Machbarkeit einer Doppelnutzung des Feuerwehrdachgeschosses durch Armee und Kultur plausibel aufzeigte. 1997 bewilligte die Gemeindeversammlung einen Baukredit für den neuen Mehrzweck-Kulturraum im Estrich des Feuerwehrlokals. Der Tropfsteiverein verlor zwar seinen eigenen Chäller, konnte sich als Hauptmieter aber unter dem Dach des neu entstandenen Kulturraums …am Märtplatz buchstäblich in den «Schärmen» stellen. Angesichts der Möglichkeiten, die sich durch die neuen Räume ergaben, hielt sich die Trauer der Tropfsteimitglieder über den Verlust der farbigen Eimer an der Decke in Grenzen.
Am 30./31. Oktober 1998 wurde die Eröffnung gefeiert – selbstverständlich mit einer Theater-Eigenproduktion
Das gemütliche Foyer mit der Bar. (Bild: bic)
Breites Spektrum
Heute werden im «Tropfstei …am Märtplatz» zahlreiche Produktionen aus allen Kunstsparten aufgeführt: schweizweit bekannte Künstlerinnen und Künstler aus der Comedy-Szene, Musikerinnen und Musiker, Theatergruppen und Autoren treten auf der Tropfstei-Bühne auf, Kinoabende mit ausgesuchten Filmperlen sowie Kindertheater runden das breite Spektrum ab. Aber auch die Förderung von Nachwuchstalenten aus der Region ist «dem Tropfstei» ein besonderes Anliegen.
Die einzelnen Programmpunkte werden von den Ressorts in Eigenregie von A-Z organisiert und im Rahmen einer Programmkoordinationssitzung jeweils zu einem vielseitigen Saisonprogramm zusammengefügt.
Finanziert werden die Veranstaltungen neben den Ticketeinnahmen zu einem wesentlichen Teil durch die Beiträge der Vereinsmitglieder. Zusätzliche Unterstützung erhält der Verein durch Spenden sowie durch Veranstaltungsbeiträge des regionalen Förderfonds Kultur.
Markenzeichen: Eigenproduktionen des Jugendtheaters und des Theaters Tropfstei
Eigentliche und besondere Markenzeichen des Tropfstei stellen die Eigenproduktionen dar. Während das Jugendtheater jedes Jahr ein neues Stück inszeniert, gönnt sich das «grosse» Theater jeweils ein Jahr Pause zwischen den Stücken. Im Laufe der Jahre sind die beiden Eigenproduktions-Segmente zu Publikumsmagneten mit grosser Bekanntheit geworden. Konsequent wird mit professionellen Fachleuten (Regie, Musik, Beleuchtung) zusammengearbeitet. So entstehen Inszenierungen, die durch ihre Qualität ein breites Publikum zu begeistern vermögen und aufzeigen, was ambitioniertes Laientheater zu leisten vermag.
Ein fester Pfeiler in der Luzerner Kulturlandschaft
Handelte es sich beim alten Tropfstei-Chäller noch eher um ein Szenelokal, präsentiert sich der Tropfstei …am Märtplatz heute als wichtiger und nicht mehr wegzudenkender Player in der Luzerner Kulturszene. Als Mitglied der «Kulturlandschaft Luzern» ist er bestens in der Kulturszene vernetzt und konnte sich im Laufe der Jahre einen soliden Namen erschaffen und bewahren. Obwohl sämtliche Leistungen von den Vereinsmitgliedern auf ehrenamtlicher Basis erbracht werden, überzeugt der Veranstalter durch professionelle Kulturarbeit.